Direkte Demokratie

Über die Bedeutung und die Verwendung der Begriffe „direkte Demokratie“ oder „direktdemokratische Verfahren“ herrscht innerhalb der Wissenschaft Uneinigkeit. Grundsätzlich kann unter direkter Demokratie jedoch die „unmittelbare Einwirkung von Bürgerinnen und Bürgern […] auf eine bestimmte Entscheidung“ (Kost 2005: 8) verstanden werden.

 

Grundsätzlich gilt:

Anders als bei Wahlen geht es bei direktdemokratischen Verfahren um Sachabstimmungen zu einem Einzelthema – in Hamburg zum Beispiel die Schulreform, den Rückkauf der Energienetze oder die Einführung eines Transparenzgesetzes.

Das Verfahren kann „von unten“ z.B. durch eine Bürgerinitiative initiiert oder aufgrund einer gesetzlichen Regelung automatisch (obligatorisch) ausgelöst werden. Allerdings kann auch beides in Kombination stattfinden. Abstimmungen „von oben“ gibt es beispielsweise in Frankreich, Großbritannien und Dänemark. Dort heißen sie Referendum. In Deutschland kennen einige Bundesländer solche Verfahren, die „von oben“ eingeleitet werden, ausschließlich auf kommunaler Ebene (Ratsbegehren). Hamburg ist bisher das einzige Bundesland, das 2015 Referendumsverfahren auf Landesebene eingeführt hat. Hintergrund dieser Verfassungsänderung war die geplante Bewerbung um die Olympischen Spiele 2024.

 

Das fakultative Referendum richtet sich gegen ein vom Parlament beschlossenes Gesetz. Eine bestimmte Anzahl von Stimmbürger/innen, die mit diesem Gesetz nicht einverstanden sind, kann einen Volksentscheid beantragen.

 

Beim obligatorischen Referendum ist der Volksentscheid zu bestimmten Gegenständen, meist bei Verfassungsänderungen, verpflichtend vorgeschrieben und findet in Bundesländern wie Bayern oder Hessen automatisch statt. Ein entsprechender Parlamentsbeschluss zur Änderung der Landesverfassung geht diesem voraus. In Hamburg können bisher (Stand 2015) keine obligatorischen Referenden durchgeführt werden.

 

Die Verbindlichkeit von Volksbegehren ist nicht immer selbstverständlich: In Hamburg musste sie – nachdem der Senat den erfolgreichen Volksentscheid gegen den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser vom Tisch gewischt hatte – erst in einem neuen Volksentscheid erkämpft werden, Heute gilt: Der Senat muss ordnungsgemäß Volksentscheide umsetzen, da es sich nach einem Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts um ein verbindlichen Verfahren handelt, das heißt, ein Volksentscheid ist einem Parlamentsbeschluss gleichwertig.

 

Europaweit gibt es viele Varianten der Bürgerbeteiligung. Beispiele sind konsultative Volksbefragungen, unverbindliche Volkspetitionen (Anregungen), alle „von oben“ eingeleiteten Volksabstimmungen („Plebiszite“ oder „Parlamentsreferenden“ genannt) sowie Verfahren zur vorzeitigen Auflösung des Parlaments / Herbeiführung von Neuwahlen.

 

In Deutschland gibt es bisher keinen bundesweiten Volksentscheid, obwohl es in Artikel 20 des Grundgesetzes heißt „ Alles Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen […] ausgeübt“. Mehr Demokratie hat in den letzten Jahren einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeitet, der allerdings vom Bundestag mit Zweidrittel- Mehrheit angenommen werden müsste.

Die gesetzlichen Regelungen für Volksabstimmungen variieren von Bundesland zu Bundesland erheblich. In Hamburg gibt es bis dato kein Gesetz, das obligatorische Referenden zulässt. Fakultative Referenden können in Hamburg nur bei Wahlrechtsänderungen durchgeführt werden – oder in dem Fall, dass die Bürgerschaft von einem volksbeschlossenen Gesetz abweichen will. Für Hamburg gilt auch, dass die direktdemokratischen Verfahren anders als beispielsweise in Bayern nicht zwei- sondern dreigliedrig sind. So kann die Bürgerschaft nach jedem erfolgreichen Teil des Verfahrens prüfen, ob sie das Anliegen der Initiatoren übernimmt. Tut sie dies, entfallen die weiteren Schritte. Übernimmt die Bürgerschaft das Anliegen nicht, können die Initiatoren die Durchführung des nächsten Schritts beantragen.

 

Am Anfang des Hamburger Verfahrens steht die Volksinitiative. Dafür müssen innerhalb von sechs Monaten mindestens 10.000 Unterschriften von wahlberechtigten Hamburgerinnen und Hamburgern gesammelt werden. Wurde dieser Schritt erfolgreich absolviert, kann das Volksbegehren stattfinden. Dafür müssen innerhalb von 3 Wochen mindestens 64.971 Unterschriften eingereicht werden, was einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten Hamburgs (Stand Bürgerschaftswahl 2015; 1.299.411) entspricht. Danach kommt es zum Volksentscheid, der - wenn die Initiative keinen anderen Termin beantragt - am Tag einer Bürgerschafts- oder Bundestagswahl stattfindet. Der Volksentscheid ist erfolgreich, wenn die Mehrheit der Abstimmenden zustimmt und auf den Gesetzentwurf oder auf die „andere Vorlage“ der Initiatoren mindestens die Zahl von Stimmen entfällt, die der Mehrheit der in dem gleichzeitig gewählten Parlament repräsentierten Hamburger Stimmen entspricht.

 

Am 28. Mai 2015 änderte die Hamburger Bürgerschaft mit Zweidrittel-Mehrheit den Verfassungsartikel 50 zur Volksgesetzgebung. Senat und Bürgerschaft können künftig Gesetzentwürfe und andere Fragen von „grundsätzlicher und gesamtstädtischer Bedeutung“ dem Volk zur Abstimmung vorlegen, wenn zwei Drittel der Abgeordneten zustimmen. Zielrichtung und Zeitpunkt der Volksabstimmung „von oben“ müssen dabei nicht einmal feststehen. Volksinitiativen zum gleichen Gegenstand haben dadurch kaum noch Chancen. So könnte beispielsweise ein Referendum zum Thema einer schon laufenden Volksinitiative gestartet und ein paar Monate später wieder aufgehoben werden. Initiativen, die zu diesem Zeitpunkt bereits die zweite Verfahrensstufe erreicht haben, können ihre Sicht der Dinge nur noch als Gegenvorlage einbringen. Weiterhin kann das Thema eines Bürgerschaftsreferendums für Initiativen grundsätzlich bis zu einen Zeitraum von 5 Jahren blockiert sein. Zudem können Initiativen auch auf die Form und den Inhalt der Fragestellung und den Termin des Volksentscheids keinen Einfluss nehmen. Auf diese Gefahren für die direkte Demokratie haben Verfassungsexperten bereits im Vorfeld hingewiesen und vor einer allgemeinen Regelung im Hauruck-Verfahren gewarnt, da die Folgen nicht abzuschätzen seien.

 

Wenige Tage vor Inkrafttreten der Verfassungsänderung startete Mehr Demokratie zusammen mit Hamburger Bürgerinitiativen die Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“,die das alte bürgerfreundliche Regelwerk erhalten will und sich darüber hinaus u.a. für die Einführung von obligatorischen Referenden einsetzt. Verfassungsänderungen wären danach nur noch – wie in Bayern und Hessen – mit Zustimmung des Volkes möglich.Nach der erfolgreichen ersten Unterschriftensammlung vom Sommer 2015 wird im Juni 2016 das Volksbegehren als zweite Stufe stattfinden. Danach könnte es am Tag der Bundestagswahl im Jahr 2017 zum Volksentscheid kommen.

 

Hier finden Sie den Gesetzestext zur Verfassungsänderung vom 1. Juni 2015.