Hamburgs Verfassung kurz vor ihrem 100. Geburtstag modernisiert

Kommentar von Helena Peltonen, zuerst erschienen auf zukunftsrat.de

Wenig Aufmerksamkeit hat die jüngste Änderung der Hamburgischen Verfassung erfahren. Dabei ist sie sehr bedeutsam. Der Zukunftsrat begrüßt diese Veränderung und fordert die Hamburgische Bürgerschaft dazu auf, diese Veränderung mit Leben zu füllen.


Was ist geschehen?

Die Koalitionspartner SPD und die B90/Die Grünen hatten im Koalitionsvertrag vom 2. Juni 2020 angekündigt, dass sie die Verfassung dahingehend weiterentwickeln wollen, dass Bürger*innennähe und Verwaltungstransparenz Verfassungsauftrag werden und die aus der Zeit gefallenen Deputationen abgeschafft werden. Am Tag danach hat der Zukunftsrat seine aus dem Jahr 2019 stammenden Vorschlag für eine Enquete-Kommission für „Nachhaltige Zukunftsentwürfe“ in aktualisierter Form veröffentlicht. Eine Woche später wurde der Koalitionsantrag zur Verfassungsänderung der Bürgerschaft vorgelegt und bereits am 30. September fand der leicht veränderte Antrag dort die nötige Zweidrittelmehrheit.

Die Presse hat davon keine große Notiz genommen, lediglich die Abschaffung der Deputationen hat ein paar Zeilen abbekommen. Die Bedeutung der Verfassungsänderung liegt aber ganz woanders: in der Chance der Modernisierung der Demokratie, die uns in diesen Tagen wahrlich nicht gleichgültig sein darf. Seit Jahren wird in Sonntagsreden die Notwendigkeit des Experimentierens mit neuen Formen der Bürgerbeteiligung beschworen. Auf Bundesebene hat es die Zivilgesellschaft selbst in die Hand genommen, zwei große Bürgerräte initiiert und auch den Ältestenrat des Bundestages überzeugt. Im Ausland und auf kommunaler Ebene in Deutschland finden vielfältige Verfahren Anwendung. Baden-Württemberg hat aus Stuttgart21 Konsequenzen gezogen und die Bürgerbeteiligung landesgesetzlich verankert, nicht nur für Bauvorhaben nach dem Bundesbaugesetz.

Vielfalt der Formate der Bürgerbeteiligung

Die denkbaren Formate der Beteiligung sind vielfältig, aber zwei Besonderheiten scheinen sich überall gut zu bewähren: Alle Bürger*innen sollten gleiche Chancen haben, beteiligt zu werden. Und was wäre gerechter als das Losverfahren? Wenn es aber um Demokratie geht, muss dann doch noch etwas hinzukommen: Ein gutes Maß an Heterogenität der Beteiligten, damit eine handhabbare Zahl der Beteiligten die Bevölkerung repräsentieren. So hilft man nach und stellt sicher, dass alle Altersgruppen, Geschlechter, Berufs- und Bildungsgruppen sowie Migrationshintergrund in dem Verhältnis dabei sind, wie sie in der Bevölkerung auch vorkommen. Parteizugehörigkeit spielt dabei keine Rolle. Parteimitglieder bilden ohnehin nur weniger als 2 Prozent der Bevölkerung und das Los wird vielleicht ein paar Parteimitglieder auch erwischen.

Beteiligung auf allen Ebenen

Vorhandene Beteiligungsformate, die es vor allem in Form von Stadtteil-, Quartiers-, Jugend-, Seniorenbeiräten gibt, muss man deshalb nicht in Frage stellen, wenn sie gut funktionieren. Aber auch dort könnten aufsuchende Ergänzung oder Erneuerung für Belebung der Demokratie sorgen.

Allerdings ist die organisierte Bürgerbeteiligung vor allem auf der Ebene der Bezirke betrachtet worden. Aber sie betrifft alle Ebenen, auf denen Entscheidungen getroffen werden, natürlich auch die Landesebene. Selbst die Positionen Hamburgs im Bundesrat können eine Betrachtung aus Bürgersicht vertragen. Bürger*innen sind von allen Entscheidungen betroffen, nicht nur in ihrer unmittelbaren Wohnumgebung. Dafür gibt die nun die veränderte Verfassung den Auftrag. Keine Ebene ist ausgenommen.

100 Jahre Hamburger Verfassung

Am 7. Januar 2021 hat die Verfassung Hamburgs 100 Jahre hinter sich gebracht. Sie hat in dieser Zeit viele Veränderungen, vor allem im Jahr 1952. Aber sie hat über das ganze Jahrhundert hinweg sehr konservative Elemente mit sich getragen, die nicht zuletzt mit der hanseatischen Tradition Hamburgs zusammenhängen. Es ist gut, dass Hamburg das zweite Jahrhundert seiner Verfassung mit gestärkter Rolle ihrer Bürgerinnen und Bürger startet.

Schade um die Deputationen?

Vielleicht Wehmut hier und da. Aber die Kontrollfunktion, die die Deputationen eigentlich innehatten und der sie nur unzureichend und intransparent nachgekommen sind, ist keineswegs weggefallen. Vielmehr muss auch sie in neuer wirksamer, parteiunabhängiger und transparenter Form neu gestaltet werden. Eine wichtige Aufgabe.