Bürgerforen und deliberative Bürgerbeteiligung
Bürgerrat und Bürgerforum sind Begriffe1, die Sie vermutlich schon gehört haben. Manchmal wird der letztere Begriff benutzt, um eine Assoziation zu ‚Räterepublik‘ zu vermeiden. Hamburg und Baden-Württemberg haben sich für den Begriff Bürgerforum entschieden. Gemeint ist aber dasselbe: eine Form der Bürgerbeteiligung, in der die Teilnehmenden zufällig ausgelost werden und ein möglichst repräsentatives Abbild der Einwohner der Stadt, des Bezirks oder Stadtteils in einem verkleinerten Format abgeben. Die Teilnehmenden debattieren (deliberieren, beratschlagen, erörtern) über ein (kontroverses) Sachthema und geben der Regierung (dem Senat) oder dem Parlament als Ergebnis der Deliberation Empfehlungen in Form eines Bürgergutachtens ab. Diese Empfehlungen sind nicht bindend, die Entscheider sollten sich mit ihnen aber mit Ernsthaftigkeit und Sorgfalt befassen und qualifizierte Rückmeldung geben, wie weit ihnen nachgekommen wird (und ggf. warum nicht).
Im Jahr 2020 hat die rot-grüne Koalition die aus dem 16. Jahrhundert stammende Hamburgensie der ‚Deputationen‘, die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger an der Stadtverwaltung abgeschafft. In der Hamburgischen Verfassung traten im Art. 56 an die Stelle der Deputationen die Gebote der Transparenz und der ‚Bürgernähe‘. Was Bürgernähe ist, sollte ein einfaches Gesetz klarstellen. Bis zum heutigen Tag fehlt dieses Gesetz.
Mehr Demokratie hat mit anderen Hamburger Zivilgesellschaften nach einem modernen Ersatz durch Bürgerräte gefordert und erreicht, dass die Bürgerschaft im Juni 2024 ein Zufallsbeteiligungsgesetz verabschiedet hat, das den Hamburger Behörden erlaubt, deliberative Formen der Bürgerbeteiligung durchzuführen und diese auch mit anderen Beteiligungsformaten zu kombinieren. Diese Instrumente stehen allen Behörden zur Verfügung und ermöglichen auch die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund entsprechend ihres Anteils in der Einwohnerschaft Hamburgs.
In Baden-Württemberg wurde nach den Vorkommnissen um den Bahnhof Stuttgart21 eine „Politik des Gehörtwerdens“ etabliert. Seit 2011 gibt es eine ehrenamtliche Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung als „weiteres Mitglied der Regierung“. Sie wird von einem „Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“ unterstützt.
In Hamburg fehlt noch die Brücke zwischen Art. 56 der Verfassung und dem Zufallsbeteiligungsgesetz, d.h. eine gesetzlich verankerte Verpflichtung des Senats zur Bürgerbeteiligung. Daran arbeiten wir. Wir halten deliberative Formen der Beteiligung auch für ein Instrument, von dem auch die Hamburgische Bürgerschaft Gebrauch machen sollten.
Wie Bürgerräte (Bürgerforen) funktionieren, lesen Sie hier: https://www.buergerrat.de/wissen/wie-funktioniert-ein-buergerrat/
Stand: Dezember 2024
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Anmerkungen:
1 In nicht-deutschsprachigen Ländern spricht macht von Citizens Assembly oder Assemblée Citoyenne. Diese Begriffe werden häufig fälschlicherweise mit ‚Bürgerversammlung‘ ins Deutsche übersetzt. Eine Bürgerversammlung ist aber mit einer anderen Bedeutung belegt.