Pressemitteilung: Mündliche Verhandlung vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht - 21.12.2021 11:00 Uhr

Am kommenden Dienstag, dem 21. Dezember, ab 11:00 Uhr verhandelt das Hamburgischen Verfassungsgericht über eine Klage gegen die, von mehr als 30 Hamburger Initiativen getragenen, Volksinitiative „Bürgerbegehren und Bürgerentscheide jetzt verbindlich machen – Mehr Demokratie vor Ort“.

 

Auf Antrag des rot-grünen Senates hat das Gericht über die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Volksinitiative und damit über die Durchführung des Volksbegehrens zu entscheiden. 

Die Volksinitiative wird dabei vom erfahrenen Verfassungsjuristen Professor Dr. Arne Pautsch (Hochschule Ludwigsburg) und den drei Vertrauenspersonen Bernd Kroll, Thérèse Fiedler und Holger Landahl vertreten

Im Kern geht es um die Verbindlichkeit der, im Jahre 1998 durch einen Volksentscheid eingeführten, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide für den Hamburger Senat und die Bürgerschaft.

Der Wortlaut der Volksinitiative lautet:

„Senat und Bürgerschaft unternehmen unverzüglich alle notwendigen Schritte, damit in Bezirksangelegenheiten rechtlich für Bezirk und Senat Bürgerentscheide bindend sind. Bürgerbegehren dürfen ab dem Tag ihrer Anmeldung nicht mehr be- bzw. verhindert werden. Erfolgreiche Bürgerentscheide oder der Beschluss des Bezirks über die Annahme von Bürgerbegehren dürfen nur im Wege eines neuen Bürgerentscheids abgeändert werden.“ 

Dazu sind am 01.02.2020 14.023 für die Volksinitiative abgegebene Unterschriften eingereicht worden.

Gleich in acht Punkten soll unsere Volksinitiative nach Auffassung des rot-grünen Senats verfassungswidrig sein. 

Dabei fordern wir nur, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Wir wollen, dass der Bürgerwille in lokalen Angelegenheiten für Senat und Bürgerschaft verbindlich ist und von ihnen respektiert werden muss. Die genaue Details der Umsetzung überlassen wir dabei Senat und Bürgerschaft. 

Besonders absurd: Unsere Volksinitiative soll sogar gegen das Demokratieprinzip verstoßen – uns geht es doch gerade um ein Mehr an Beteiligung und Demokratie. 

Seit Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Hamburg hat der Senat über 20 Bürgerentscheide und Bürgerbegehren evoziert, d.h. außer Kraft gesetzt und/oder die Bezirke angewiesen, die aufgeworfene Frage in seinem Sinne zu bearbeiten (sog. kalte Evokation). 

Einige Beispiele:

Bürgerentscheid zum Erhalt des Bismarckbad Altona. Bürgerentscheid am 01.12.2005, 44.644 Bürgerinnen und Bürger haben abgestimmt, Beteiligungsquote 24,83%, 78,7% haben für den Erhalt gestimmt. Ergebnis: Das Bismarckbad wurde im Jahr 2007 trotzdem abgerissen

Bürgerentscheid zum Bebauungsplanverfahren Langenhorn 73 / Siedlung Wulffsgrund. Bürgerentscheid am 27.10.2011, 32.469 haben abgestimmt, Beteiligungsquote 14,4%, 22.980 Personen = 72,9% haben dafür gestimmt. Ergebnis: Keine einzige Wohnung gebaut - Mieten steigen deutlich.

Bürgerentscheid  „SOS-Mühlenkampkanal – der Mühlenkampkanal soll umgrünt und Erholungsgewässer bleiben“ Bürgerentscheid am 6.12.2018, 71.064 Personen haben abgestimmt, Beteiligungsquote 28,70%, 48.238 Personen = 71,36% haben dafür gestimmt. Trotzdem Evokation unverändert offen.

Damit soll nach unserer Auffassung nun Schluss sein. Und mit dieser Forderung sind wir eigentlich nicht alleine.

Denn auch alle demokratischen Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft forderten in ihren Wahlprogrammen mehr Bürgerbeteiligung und insbesondere auch, dass bezirkliche Angelegenheiten vor Ort entschieden werden:

Die SPD dazu in Ihrem Leitantrag 2018 zu den Bezirksversammlungswahlen 2019: „Was vor Ort besser entschieden und umgesetzt werden kann, soll auch vor Ort entschieden und umgesetzt werden”. 

Die Grünen bezeichnen die Bürger*innenbeteiligung in ihrem Bürgerschaftswahlprogramm als zentrales Element von Stadtentwicklung. In ihren Bezirkswahlprogrammen bezeichnen sie die Bürger*innen vor Ort als die eigentlichen Experten, wenn es um die Gestaltung ihrer unmittelbaren Wohngegend geht (Bezirkswahlprogramm Grüne Harburg). Die Grünen in Altona teilen die Forderung in ihrem Bezirkswahlprogramm sogar 1:1, wenn sie fordern, dass Bürger*innenbegehren und -entscheide, die nur den Stadtteil betreffen, abschließend im Bezirk Altona entschieden werden sollen und nicht vom Senat an sich gezogen werden können.

Auch die CDU reiht sich ein, wenn sie in Bürgerschaftswahlprogramm ausführt, dass lokale Entscheidungen - welche Straße instandgesetzt, welche Jugendeinrichtung oder welcher Seniorentreff gefördert wird, wie die Nachverdichtung von Wohnbebauung gelingt – auch direkt in die Zuständigkeit der Bezirke und nicht in den Zugriff der Landesbehörden gehören. 

Mit der Linken, die in ihrem Bürgerschaftswahlprogramm die Verbindlichkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in bezirklichen Angelegenheiten fordert, als auch mit der FDP, die in ihrem Bürgerschaftswahlproramm bei allen Anliegen der örtlichen Gemeinschaft eine eigenverantwortliche Selbstverwaltung durch die Bezirke verlangt, liegt unter den demokratischen Parteien der Bürgerschaft Deckungsgleichheit mit der Forderung der Volksinitiative vor.

Die Verhandlung findet mit Rücksicht auf die aktuelle Corona-Lage im Bürgersaal Wandsbek, Am Alten Posthaus 4, 22041 Hamburg statt.