Keine Zustimmung zu CETA in den Koalitionsvertrag!

Ein offener Brief mehrerer Organisationen an die SPD Hamburg und Bündnis90/Die Grünen Hamburg zu den beginnenden Koalitionsgesprächen

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem. Über die dringend notwendigen Sofort- und Hilfsmaßnahmen hinaus sollte sie uns auch zu einem tiefen Nachdenken über die herrschenden Wirtschaftsstrukturen und die damit einhergehenden Risiken veranlassen. 

Das aktuelle Welthandelssystem priorisiert „Freihandel“ und die Ausweitung von Märkten vor der Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien. Wie sich in der aktuellen Krise zeigt, macht uns dieses System besonders verwundbar. Es gehört auf den Prüfstand und sollte langfristige politische Konsequenzen nach sich ziehen. 

Die beginnenden Koalitionsverhandlungen bieten eine gute Gelegenheit, diesen Einsichten entsprechende Kurskorrekturen folgen zu lassen. In der kommenden Legislaturperiode werden Sie im Bundesrat voraussichtlich über die vollständige Ratifizierung des Umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) abstimmen. CETA ist ein Abkommen, das die demokratischen Handlungsspielräume von Politik einschränkt, die öffentliche Daseinsvorsorge gefährdet und Nachhaltigkeitsstandards bedroht. Ein klares Bekenntnis gegen CETA wäre ein deutliches Zeichen, dass aus der aktuellen Krise Konsequenzen gezogen und Nachhaltigkeitskriterien zukünftig vor Handels- und Wirtschaftsinteressen priorisiert werden. 

 

Wir bitten Sie, in Ihren Koalitionsgesprächen über internationalen Handel und Hamburgs globale Verantwortung (Agenda 2030) CETA explizit zu berücksichtigen und im Koalitionsvertrag festzuhalten, dass Hamburg dem Abkommen im Bundesrat nicht zustimmen wird. 

Wir kritisieren insbesondere folgende hoch problematischen Inhalte des CETA-Abkommens:

 

1. Sonderklagerechte für Konzerne schränken demokratische Handlungsspielräume von Politik ein

Aufgrund der breiten Proteste, die auch von SPD und Bündnis90/Die Grünen zum Teil oder vollständig unterstützt wurden, wurde in CETA ein reformiertes Schiedsgerichtssystem (das genannte Investment Court System, ICS) verankert. Die Reformen beschränkten sich auf prozedurale Aspekte wie die Transparenz der Verfahren oder die Auswahl der Schiedsrichter, änderten jedoch nichts an der Grundproblematik: Nach der vollständigen Ratifizierung wird CETA ausländischen Investoren ein eigenes, privilegiertes Klagerecht gewähren. Kanadische sowie in Kanada ansässige Konzerne können dann hohe Schadensersatzforderungen an die EU und EU-Mitgliedsstaaten richten, wenn Gesetze oder Regulierungen ihre Gewinne beeinträchtigen – dies schließt Regulierungen beispielsweise zum Klima-, Umwelt-oder Verbraucherschutz mit ein. 

Diesen weitgehenden Sonderrechten für Investoren stehen keinerlei Pflichten zum Schutz des Gemeinwohls gegenüber. Außerdem steht dieser Klageweg weder geschädigten Bürger*innen, Gemeinden, Regierungen noch zivilgesellschaftlichen Gruppen offen. Diese Parallelgerichtsbarkeit für Konzerne ist eine politische Sackgasse, die der Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung im Weg steht. Sie stellt insbesondere eine Gefahr für die Umsetzung einer effektiven Klimaschutzpolitik dar, weil sie den Spielraum staatlicher Regulierung bei der Nutzung fossiler Brennstoffe einschränkt. Die meisten Entschädigungsklagen vor internationalen Schiedsgerichten betreffen fossile Energien. Durch die Entschädigungsklage Vattenfalls wegen der Umweltauflagen beim Kraftwerk Hamburg-Moorburg hat Hamburg diese bittere Erfahrung selbst gemacht – und sollte daraus lernen.

 

Ende April 2019 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) zwar, dass die in CETA enthaltenen Sonderklagerechte mit dem EU-Recht vereinbar sind. Ein Paralleljustizsystem für Konzerne mag damit europarechtlich zulässig sein – gerecht und politisch zielführend ist es trotzdem nicht. Ob die Sonderklagerechte auch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind, wird das Bundesverfassungsgericht noch prüfen.

 

2. CETA schränkt den Handlungsspielraum von Kommunen ein, unterstützt die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und ist eine Gefahr für die öffentliche Daseinsvorsorge

Das CETA-Abkommen erweitert und verfestigt kommunale Ausschreibungspflichten und liberalisiert durch den sogenannten Negativlisten-Ansatz alle Dienstleistungen, die nicht explizit ausgenommen sind. Zwar haben sowohl die EU als auch die Bundesrepublik Ausnahmen eingereicht, doch deren Formulierung reicht nicht aus, um die Interessen der Kommunen ausreichend zu schützen. Auch Dienstleistungen, die es bisher noch gar nicht gab, fallen automatisch unter das Abkommen. 

Außerdem können bereits privatisierte Dienstleistungen schwerer wieder re-kommunalisiert werden – obwohl heutzutage gerade dies geboten wäre, wie Hamburg durch die Auseinandersetzungen um kommunale Energienetze genau weiß. Im Kontext der Corona-Pandemie erweist sich beispielsweise auch die weitgehende Privatisierung des Gesundheitssystems als Irrweg. Auch hier kann Hamburg auf eigene bittere Erfahrungen zurückblicken. 

Es wäre schicksalhaft falsch, trotz all dieser Erkenntnisse und Erfahrungen jetzt ein Abkommen zu unterzeichnen, das den Kommunen das Heft aus der Hand nimmt. 

 

3. Mangelnder Schutz des Vorsorgeprinzips und Gefährdung von Klima-, Umwelt- und Verbraucherschutz

Das Vorsorgeprinzip, das dem europäischen Umwelt- und Verbraucherschutz zu Grunde liegt, ist in CETA nicht ausreichend geschützt und wird durch Verweis auf Regeln der Welthandelsorganisation sogar noch verwässert. So ist es keineswegs sichergestellt, dass bestehende Standards aufrechterhalten werden, geschweige denn sich weiterentwickeln können.

Umgekehrt ist das Nachhaltigkeitskapitel nicht mit einem funktionierenden Sanktions- und Durchsetzungsmechanismus verbunden und von der allgemeinen Streitschlichtung des Abkommens ausgeschlossen. 

Auch die Zusagen zum Klimaschutz in CETA sind nicht durchsetzungsfähig. Zudem steht das Abkommen im engen Zusammenhang zum weiteren Anstieg der Nutzung fossiler Energien: In den zwei Jahren seit der vorläufigen Inkraftsetzung haben sich die kanadischen Ölexporte in die EU mehr als verdoppelt. Noch im Februar hat die Bürgerschaft eine Ergänzung der Hamburgischen Verfassung beschlossen, der zufolge Hamburg seine Verantwortung für die Begrenzung des Klimawandels ganz besonders wahrnimmt. Dieser Aussage müssen praktische Konsequenzen folgen, unter anderem muss Klimaschutz deutlich höher gewichtet werden als der Handel mit fossilen Energien.

 

4. Regulierungsausschüsse erhalten weitreichende Entscheidungsbefugnisse

Die Ausschüsse, die durch CETA geschaffen wurden, haben bereits begonnen zu tagen. Sie können weitreichende Entscheidungen treffen, ohne sich mit demokratisch gewählten Parlamenten abzustimmen. Einiges lässt darauf schließen, dass die Entscheidungen der CETA-Ausschüsse in der Regel völkerrechtlich verbindlich sind und die Vertragsparteien, also die EU, Kanada und die Mitgliedstaaten, dazu noch nicht einmal gefragt werden müssen. 

Ein Blick auf die Tagesordnungen der Sitzungen beweist, dass es sich bei unserer Kritik nicht nur um demokratietheoretische Überlegungen handelt. In den Ausschüssen treffen handfeste realpolitische Interessen aufeinander. So greift Kanada im Ausschuss zu Landwirtschaft den gefahrenorientierten Ansatz des europäischen Pestizidrechts – und damit das Vorsorgeprinzip – an. Die Diskussion findet ohne gewählte Abgeordnete statt, und ohne dass Journalist*innen Öffentlichkeit herstellen könnten. Ob dieses Ausschuss-System mit dem deutschen Grundgesetz kompatibel ist, wird das Bundesverfassungsgericht noch beantworten müssen.

Diese Verlagerung von Regulierungskompetenzen auf eine supranationale Ebene, die außerhalb parlamentarischer und öffentlicher Kontrolle Recht setzt, ist das Gegenteil von dem, was in diesen Zeiten von gesellschaftlicher Spaltung stattfinden sollte. Nachhaltigkeit umfasst Transparenz und Partizipation auf allen Ebenen.

 

5. CETA enthält keine Antikorruptionsklauseln

Bereits im Jahr 2015 kündigte die EU-Kommission in ihrer neuen Handelspolitik „Trade for All“ an, Antikorruptionsklauseln in zukünftige Handelsabkommen aufzunehmen. Kanada unterzeichnete Anfang 2016 das transpazifische Handelsabkommen, das umfassende Antikorruptionsklauseln enthält. Dennoch fehlen solche Klauseln im acht Monate später unterzeichneten CETA. Gemäß Agenda 2030 ist Korruption in all seinen Formen erheblich zu reduzieren. Im Hamburger Umsetzungsplan der Agenda 2030 ist Korruptionsbekämpfung ein Querschnittsziel und muss in allen Handlungsbereichen berücksichtigt werden – auch in Fragen des internationalen Handels. 

 

 

Trotz der breiten Proteste gegen CETA wird das Abkommen seit September 2017 zu großen Teilen vorläufig angewandt. Sobald das Bundesverfassungsgericht über die laufende CETA-Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann mit einer Einleitung des Ratifizierungsverfahrens in Deutschland gerechnet werden. Aller Voraussicht nach wird daher der Bundesrat und somit auch der künftige Hamburger Senat in dieser Legislaturperiode über CETA abstimmen.

Wir wissen, dass internationale Zusammenarbeit gerade in heutiger Zeit ein hohes Gut und ein wichtiges Ziel ist. Deshalb betonen wir, dass wir nicht für weniger, sondern für mehr internationale Kooperation eintreten. Von zentraler Bedeutung ist es jedoch, die richtigen Akzente bei der Gestaltung der Globalisierung zu setzen. Abkommen, die hohe soziale und ökologische Standards, öffentliche und gemeinnützige Dienstleistungen und demokratische Entscheidungsprozesse garantieren, können helfen, das Primat der Politik wiederherzustellen. CETA tut dies nicht. Es stellt, ganz im Gegenteil, Wirtschaftswachstum und die Rechte großer Unternehmen über alle anderen Werte. Das Abkommen leistet damit auch denjenigen Vorschub, die internationale Kooperation grundsätzlich bekämpfen wollen.

Auch wer CETA nicht komplett ablehnt, sondern nur einige Aspekte ändern oder nachbessern will, muss die vorliegende Fassung ablehnen. Es ist ein Abkommen aus der Vergangenheit und völlig ungeeignet, den Handel der Zukunft zu regeln. Deshalb bitten wir Sie, sich im Koalitionsvertrag auf ein klares „Nein“ oder auf eine Enthaltung festzulegen.

 

Für Rückfragen oder persönliche Gespräche zum Thema stehen wir sehr gerne zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Schleswig-Holstein/Hamburg

Attac Hamburg

Fair Trade Stadt Hamburg

Forum Demokratische Linke 21 e.V., Regionalgruppe Hamburg /Schleswig-Holstein

Mehr Demokratie Hamburg

Netzwerk Gerechter Welthandel

SPD - AG 60+ des Bezirks Wandsbek

ver.di Landesbezirk Hamburg

Zukunftsrat Hamburg